Betriebsänderung

Was ist eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung?

Damit die §§ 111 ff. BetrVG überhaupt Anwendung finden können, müssen folgende Eingangsvoraussetzungen erfüllt sein:

  1. Der nach dem BetrVG für die Wahrnehmung der Rechte zuständige Betriebsrat muss zu Beginn der Planungen existieren.

Das Mitbestimmungsrecht ist zunächst an die Existenz eines Betriebsrats gekoppelt, nach herrschender Meinung kommen die Rechte der §§ 111 bis 113 BetrVG nicht in Betracht, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Betriebsänderung und noch bis zur Durchführung der Betriebsänderung kein Betriebsrat existiert.

Nach Ansicht des BAG kann ein Sozialplan nach § 112 BetrVG auch nicht erzwungen werden, wenn der Betriebsrat erst im Stilllegungszeitraum gewählt wurde (BAG 20.04.1982 – 1 ABR 3/80).

Liegt der seltenere Fall einer unternehmensweiten Betriebsänderung vor, für die der Gesamtbetriebsrat nach dem BetrVG originär zuständig ist, so entfaltet ein vom Gesamtbetriebsrat ausgehandelter Sozialplan auch für einen betriebsratlosen Betrieb Wirkung (§ 50 Abs. 1 BetrVG).

  1. Im Unternehmen müssen in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden.

Zur Beantwortung der Frage, ob die Mindestbeschäftigtenzahl von 21 wahlberechtigten Arbeitnehmer in einem Unternehmen (nicht Betrieb!) erreicht wird, ist nicht etwa auf den Zeitpunkt der Betriebsrat-Wahl, sondern auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Beteiligungsrechte nach §§ 111, 112 BetrVG entstehen (BAG 22.02.1983 – 1 AZR 260/81).

Maßgeblich ist somit die regelmäßige Beschäftigtenzahl vor Beginn der Betriebsänderung, dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn die Betriebsänderung in mehreren Schritten und somit über einen längeren Zeitraum durchgeführt wird und die Anzahl der Arbeitnehmer während der Durchführung unter dem Mindestwert von 21 Arbeitnehmern sinkt.

Dann kann es dazu kommen, dass der Arbeitgeber behauptet, dass es sich bei der geplanten Maßnahme um keinen weiteren Teile einer Gesamtplanung, sondern um eine neue Betriebsänderung handelt, bei der nunmehr kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehen.

Bei der Ermittlung der Zahl der regelmäßig im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer ist nach der BAG-Rechtsprechung auf die normalerweise im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen.

Es sind dabei – unabhängig von der Ausgestaltung der einzelnen Arbeitsverhältnisse – alle wahlberechtigten Beschäftigten nach § 5 Abs. 1 BetrVG i.V.m. § 7 BetrVG – somit auch Teilzeitbeschäftigte, Heimarbeiter und überlassende Arbeitnehmer, vor allem Leiharbeitnehmer, mitzuzählen (BAG 18.10.2011 – 1 AZR 335/10).

Nicht mitzuzählen sind die in § 5 Abs. 2, 3 BetrVG genannten Gesellschafter, mithelfenden Familienangehörigen und leitenden Angestellten.

  1. Die geplante Maßnahme muss eine Betriebsänderung darstellen.

Als Betriebsänderung sind dabei nicht Maßnahmen der laufenden Geschäftsführung, sondern nur solche Maßnahmen anzusehen, durch die die Funktionsweise des Betriebs in nicht alltäglicher Weise geändert wird. In § 111 S. 3 BetrVG hat der Arbeitgeber in den Nummern 1.) bis 5.) die typischen Betriebsänderungsmaßnahmen dargestellt.

Diese gesetzlich genannten Fälle der Betriebsänderung sind jedoch nicht abschließend, es sind durchaus weitere unbenannte Fälle der Betriebsänderung denkbar.

  1. Es muss die Möglichkeit bestehen, dass die Betriebsänderung wesentliche Nachteile für Beschäftigte des Unternehmens zur Folge haben kann.

Nach § 111 S. 1 BetrVG ist eine Betriebsänderung dann mitbestimmungsverpflichtend, wenn sie wesentliche Nachteile für die gesamte Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben kann.

Solche Nachteile können materieller oder immaterieller Natur sein.

  • Nachteile durch Ausscheiden aus dem Betrieb

a.) Nachteile der Arbeitslosigkeit

aa.) Einkommensminderung

bb.) psycho-soziale Nachteile bei langandauernder Arbeitslosigkeit

cc.) Verlust der sozialen Beziehungen

b.) vermindertes Einkommen bei Aufnahme einer Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber

c.) Verlust des sozialen Besitzstandes

d.) Verlust verfallbarer Anwartschaften in der betrieblichen Altersversorgung

e.) Verlust zukünftiger Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung

  • Nachteile durch Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz innerhalb des Betriebs oder Unternehmens

a.) vermindertes Einkommen

b.) verminderte Qualifikationsanforderungen

c.) erhöhte Qualifikationsanforderungen (nur für ältere Arbeitnehmer)

d.) Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, z.B. durch:

aa.) veränderte Arbeitszeitgestaltung

bb.) erhöhte Arbeitsumgehungsbelastung (Lärm, Staub, Schadstoffe, Klima)

cc.) erhöhte Leistungsanforderung

e.) Verschlechterung der Sozialeinrichtung (z.B. Kantine, Kindergarten)

  • Nachteile durch räumliche Verlegung des Arbeitsplatzes

a.) verlängerte Wegezeiten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz

b.) erhöhte Wegekosten

c.) Mehraufwand durch doppelte Haushaltsführung

d.) Aufwendungen für Heimfahrten

e.) Umzugskosten

  • Nachteile durch Veränderungen der Arbeitsorganisation

a.) Verschlechterung der Arbeitszeitgestaltung, beispielsweise: ungünstigerer  Arbeitszeitbeginn

b.) Verminderung des Einkommens, beispielsweise durch Verkürzung der    Arbeitszeit oder Verminderung der Qualifikationsanforderungen

c.) Verlust sozialer Beziehungen, beispielsweise durch veränderte Arbeitsabläufe

d.)  Verminderung der Qualifikationsanforderung

e.) Erhöhung der Arbeitsbelastung, beispielsweise durch leistungsabhängige

Entlohnung

  1. Es muss die gesamte Belegschaft oder wenigstens ein erheblicher Teil der Belegschaft von der Betriebsänderung betroffen sein.

Das Gesetz lässt offen, was „erhebliche Teile“ der Belegschaft sind. Richtschnur bietet hierfür die Zahlen und Prozentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG, jedoch mit der Maßgabe, dass mindestens fünf Prozent der Belegschaft des Betriebes betroffen sein müssen.

  • 21 bis 59 Arbeitnehmer: 6 oder mehr Arbeitnehmer
  • 60 bis 250 Arbeitnehmer: mehr als zehn Prozent der Arbeitnehmer
  • 251 bis 499 Arbeitnehmer: 26 oder mehr Arbeitnehmer
  • 500 bis 600 Arbeitnehmer: 30 oder mehr Arbeitnehmer
  • mehr als 600 Arbeitnehmer: fünf Prozent der Arbeitnehmer oder mehr

Bei der Betriebsgröße ist die Zahl der normalerweise im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu berücksichtigen, kurzzeitige Spitzen sind zu vernachlässigen.

Es gilt der Arbeitnehmerbegriff des § 5 Abs. 1 BetrVG, also zählen Teilzeitbeschäftigte, geringfügig Beschäftigte, etc. in vollem Umfang mit.

Sofern der Nachteil den Verlust des Arbeitsplatzes liegt, sollen Arbeitnehmer, denen aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen gekündigt wird oder die durch Ablauf von Befristungen ausscheiden, nicht mitgerechnet werden (BAG 02.08.1983 – 1 AZR 516/81). Zudem sind auch Arbeitnehmer nicht mitzuzählen, die durch Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze ausscheiden.

Zu berücksichtigen sind dagegen Änderungskündigungen, die vom Betroffenen abgelehnt oder nur unter Vorbehalt angenommen werden, Versetzungen in andere Betriebe des Unternehmens sowie alle Arbeitsverhältnisse, die auf Veranlassung des Arbeitgebers durch

  • betriebsbedingte Kündigung,
  • Aufhebungsvertrag oder
  • arbeitnehmerseitige Kündigung

beendet werden (BAG 23.08.1988 – 1 AZR 276/87).

Eine Eigenkündigung wird nach der Rechtsprechung dann als vom Arbeitgeber veranlasst anzusehen sein, wenn der Arbeitgeber Bedingungen schafft, die es einem vernünftigen Arbeitnehmer nahelegen, von sich aus das Arbeitsverhältnis wegen der geplanten Betriebsänderung zu beenden.